Bauers Depeschen


Samstag, 31. Dezember 2016, 1720. Depesche



LIEBE GÄSTE,

der Flaneursalon ist am Silvesterabend im Theaterhaus, ich wünsche Ihnen, wo immer Sie auch sind, alles Beste - und jedes weitere Worte wäre weniger wert als ein guter Song:



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LIED DES TAGES



Die aktuelle StN-Kolumne:



UNTER BÄREN

Das Jahr ging zu Ende und ich durch Vaihingen. Zufällig landete ich in der Katzenbachstraße. Vor der Turnhalle der Österfeldschule steht eine Plastik, bestehend aus zwei Steinbären. Lebensgroße Figuren, vielleicht Braunbären, aus Natursteingründen etwas grau geraten. Allerdings bin ich kein Bärenexperte. Später habe ich gelesen, die beiden würden nur „spielen“. Es kann unmöglich an meiner schmutzigen Fantasie allein liegen, wenn ich behaupte: Diese zwei Vaihinger Bären verharren in einer Stellung, von der ein dummer Mensch wie ich glauben muss, so würden zwei Bären neue Bären machen. Diese These könnten mir allerdings nur Bären bestätigen, die je von einer Missionarsstellung im Fortpflanzungsgeschäft gehört haben.

Keine Ahnung, was ausgerechnet in der Katzenbachstraße bürstelnde Bären suchen könnten. Der Bildhauer Fritz Melis, las ich nach meiner Vaihingen-Expedition, hat diese Plastik 1954 als sogenannte Kunst am Bau gefertigt. Zuvor, von 1933 bis 1936, hatte er an der Berliner Akademie der Künste studiert, ehe er laut Wikipedia 1946 in Stuttgart „neu“ anfing.

Ich weiß nicht, ob er auch schon in der Nazizeit passende Braunbären gestaltet hat. In ­Berlin kommst du ja um Bären kaum herum. Meister Petz ist im Wappen der Stadt verewigt, und bis heute verleiht man in Berlin Goldene und Silberne Bären nicht unbedingt für Tierfilme. Das heutige Berliner Wappen-Design entstand übrigens wie die Vaihinger Skulptur 1954. Jenes Jahr muss ein Bärenjahr gewesen sein; auch ich wurde 1954 geboren. Die Beziehungen zwischen Schwaben und Berlinern gelten ja traditionell als etwas getrübt. Seit Jahrzehnten hört man regelmäßig vom Berliner „Schwabenhass“, was nicht allein an Wolfgang Schäuble liegen kann.

Eine alte Geschichte. Schon in den sechziger Jahren gab es Ressentiments gegen schwäbische Invasoren an der Spree, weil sie erst kräftig in der Hochschulpolitik der Freien Universität und später, während der Studentenrevolte, in der APO mitmischten. Der 1937 in Berlin geborene, in Stuttgart-Vaihingen aufgewachsene Politikwissenschaftler Tilman P. Fichter erwähnt in seinem Aufsatz „Die Revolte“ die „schwäbische Mafia“: „Die Württemberger galten als eigene Gruppe.“ In diesem Zusammenhang könnte man etliche Namen nennen, erwähnt sei stellvertretend der legendäre, in der Frontstadt voll integrierte Kommunarde Fritz Teufel, aufgewachsen in Ludwigsburg, gestorben 2010 in Berlin.

Auffällig wurden viele Schwaben in Berlin vor allem in den achtziger Jahren, weil sie – auf der Flucht vor der Ein­berufung – nach Berlin zogen und als angelernte Spontis Häuser besetzten, die sie später kauften und Profite damit machten. In Sven Regeners Roman „Herr Lehmann“ über das Jahr 1989 in der Kreuzberger Szene gibt es einen schwäbischen Kneipenkrösus, der ständig im VfB-Trikot herumläuft. Solche Typen nannte man einst „bärig“. Der Berliner Autor Regener, auch Kopf und Sänger der Rockband Element of Crime, sagte später mal: „Wer gegen Schwaben ist, ist auch nur Rassist.“

Heute gilt die Schwabenfeindschaft in Berlin vorwiegend gut betuchten Bewohnern im Prenzlauer Berg, wobei solche Geschichten in den Medien oft eine größere Rolle spielen als in der Realität. Seit Kurzem fahren für die Berliner Verkehrsbetriebe ein paar Busse mit einem Gruß an Bürger mit süddeutschem Migrationshintergrund durch die Stadt: „Liebe Schwaben, wir bringen Euch gerne zum Flughafen . . .“ Prompt berichtete „Bild“, der Stuttgarter CDU-Bundestagsabgeordnete Kaufmann halte diesen Werbespruch für „eine ziemliche Unverschämtheit“: „Die Berliner sollten froh sein, dass es so viele tüchtige Schwaben in Berlin gibt.“

Solche humorlose Belehrungen aus der Hinterbänkler-Gruft bestärken das Misstrauen gegen schwäbische Provinzler, die generell als Kontrollfreaks mit Kehrwisch gelten. Bei etwas Gelassenheit hätte die Antwort auf den Bus-Spruch lauten können: „Liebe Berliner, herzlichen Dank für Eure Gastfreundschaft und Euren ­Service. Gerne kehren wir so schnell wie möglich zu Euch zurück  . . .“

In Wahrheit sind ja besonders wir in Stuttgart den Berlinern und vor allem deren Bären verbunden: Bis heute sind schwäbische Luxushäuslebauer so scharf auf Höhlen, dass sie ihre Stadt mit tiefen Löchern und kilometerlangen Tunneln verschandeln. Und um wenigstens ein bisschen zivilisatorischen Fortschritt an der Oberwelt zu beweisen, stellen sie wie einst die Neandertaler regelmäßig Zelte und Hütten auf, um sich darin schlimmer zu besaufen als früher die Germanen.

Der Berliner Kabarettist Arnulf Rating hat uns einst beigebracht, warum der gelernte Kesselmensch ohne Berührungsängste in fremde Städte eindringt: „Wer es in Stuttgart aushält, dem gefällt es überall.“

In diesem Sinne: Vorwärts ins neue Jahr!



FLANEURSALON IM GUSTAV-SIEGLE-HAUS

Im Gustav-Siegle-Haus gibt es im 1. Stock einen kleinen, feinen Saal, der in Vergessenheit geraten ist. Schöne Bühne, Platz für 150 Gäste. Vor mehr als 15 Jahren hab ich dort mal eine Veranstaltung gemacht - und mich jetzt daran erinnert. Am 20. Februar 2017 machen wir in dieser Kronleuchter-Kulisse, mitten im Leonhardsviertel, einen Flaneursalon - mit Stefan Hiss, Marie Louise & Zura Dzagnidze; durch den Abend führt Timo Brunke. Es ist die erste öffentliche Veranstaltung an diesem Ort seit langem. Der Vorverkauf läuft schon: online: KARTEN FÜRS SIEGLEHAUS - Telefon: 0711/2 555 555

 

 

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