Bauers Depeschen


Donnerstag, 28. Januar 2016, 1581. Depesche



 



NÄCHSTER FLANEURSALON: Dienstag, 22. März, Friedenau, Ostheim. Lieder und Geschichten in einem schönen Wirtshaussaal. Mit Stefan Hiss, Marie Louise & Zura Dzagnidze - und Michael Gaedt.



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Die aktuelle StN-Kolumne "Joe Bauer in der Stadt":



VOLLE PANNE

Liegt wohl an meinem Hirnkompass: Beim Herumspazieren habe ich zuletzt einen Ost- und Nord-Drall entwickelt. Auch diesmal, an einem herrlich sonnigen Tag im Januar, steht nicht etwa Sillenbuch, Heumaden oder ein ähnlich grobsüdliches Randgebiet auf meinem Fahrplan. Schon wieder lande ich im nördlichen Feuerbach, wo die Mauserstraße immer noch Mauserstraße heißt, so wie die Nazis sie einst nach der gleichnamigen Waffenfabrik getauft haben.

Auf dieser Route, mitten durch die Industrielandschaft mit den Mahle-Bauten und den verlassenen Behr-Hallen, liegt Klein-Istanbul, das bunte Feuerbacher Türken-Viertel. Im Dedemoglu, dem stattlichen „Kebap &Baklava Salonu“, gibt es zum Mittagessen Kuttelsuppe und gefüllte Paprika. Es schmeckt. Danach, nur ein paar Schritte entfernt im Metropole, einer Wunderbäckerei samt Restaurant, nehme ich zum Nachtisch Sütlac, den Milchreis. Süßer die Glocken nie klingen.

Nur wenige Minuten Fußweg zurück zur Straßenbahnhaltestelle Borsigstraße an der Heilbronner Straße. Über das Verkehrsgewirr und den Glas- und Betonbau der Firma Haushahn hinweg hat man einen guten Blick auf die Weinberge. Stuttgart ist schon ein verrücktes Lebensnest.

Wohl weil Haushahn weltberühmte Aufzüge produzierte, zeigt meine Hirnkompassnadel auf der Rückreise Richtung Fernsehturm. Dieser alte Himmelsstürmer scheint ja immer und überall vor meiner Nase herumzustehen. Und obwohl er seit März 2013 geschlossen ist, pflege ich zu ihm ein ungetrübtes Verhältnis: Bekanntlich spielen unterm Fernsehturm die Stuttgarter Kickers. Ausgerechnet aber wenn Fritz Leonhardts stolzes Weltbauwerk an diesem Samstag nach langer Brandschutz-Pause wiedereröffnet wird, haben die Kickers ein Auswärtsspiel – in Aalen.

Eine unverzeihliche Terminpanne. Die Ausrede, den gegnerischen Fußballplatz auf der Ostalb könne man mithilfe eines Wolkenschiebers aus dem Fanblock vom Fernsehturm aus gut verfolgen, will ich erst gar nicht hören. Ein solcher Fauxpas kann nur in einer Stadt passieren, in der ein demokratisch gewählter Rathauschef seine pubertären Neigungen zum FC Bayern München öffentlich auslebt. Das Argument, auch der Oberbürgermeister habe ein Recht auf sexuelle Vielfalt, sticht in dieser Sache nicht. Jeder halbwegs gereifte Stuttgarter weiß: Nur wer sich auf die Voodoo-Erotik im psychedelischen Zusammenspiel von Fernsehturm und Kickers einlässt, wird etwas über die wahren Höhen, Tiefen und Abgründe des Lebens erfahren. Die Aussichtsplatte des Turms ist zwar schon 150 Meter hoch. Doch der Blick zum Kickersplatz führt uns in diesen Tagen Millionen Kilometer abwärts in die Tiefe. Wir hängen nämlich am letzten Tabellenplatz der dritten Liga fest. Das ist die Hölle, aus der uns kein Fahrstuhl von Haushahn rettet.

Diese bis hierher durch und durch intime Angelegenheit darf allerdings nicht verwechselt werden mit der teils strunzdummen Hetze, die Gegner der Grünen und des OB einige Zeit unter dem vorgeschobenen Motto „Rettet den Stuttgarter Fernsehturm“ auf Facebook absonderten. Überall diese Retter von rechts.

Und jetzt zwingt mich mein Drall kurz nach Osten. Der Fernsehturm wird ja kommende Woche, am 5. Februar, 60 Jahre alt. Den 60. Geburtstag feiert bereits schon heute, am 28. Januar, auch ein anderer Stuttgarter Himmelsstürmer. Er heißt Peter Schilling. Zum ersten Mal traf ich ihn im Dezember 1982 zum Plaudern in der schwäbischen Kneipe Bäckerschmiede in Gaisburg. Es gab Geschnetzeltes. Schilling hatte gerade eine Platte mit dem Song „Major Tom“ veröffentlicht. Keine vier Wochen später war der Sänger nicht nur ein ­deutscher Popstar. Seine Astronauten-Hymne („Völlig losgelöst von der Erde . . .“) eroberte die Welt, der Musiker verließ Stuttgart und startete eine kurze Wahnsinnskarriere, die ihm nicht viel Glück brachte.

Inzwischen lebt er, gut erholt, in München und macht weiter Musik. Seine Mitstreiter von damals, mit ihren Ideen maßgeblich an Schillings Erfolg beteiligt, sind bis heute in Stuttgart zu Gange und ebenfalls der Musik treu geblieben: der Gitarrist Armin Sabol (der „Major Tom“ auch koproduzierte), der Keyboarder Ralf Schübel (der sich damals Gonzo Bishop nannte) und der Bassist Rolf Kersting; zusammen mit dem hessischen Klasse-Schlagzeuger Curt Cress bildeten sie einst Schillings Band.

Und jetzt doch noch kurz Richtung Süden. Seit 35 Jahren führt Gert Ehret an der Ecke Lehen-/Liststraße die Gaststätte Lehen, eine der letzten klassischen Eckkneipen in dieser Stadt. In diesem Jahr wird der gestandene Wirt mit der guten Seele 65 Jahre alt, und schon kommende Woche übergibt er sein Lokal an seine Nachfolgerin Karin Beck (Kneipengänger kennen sie vom Café Kaiserbau am Marienplatz).

Achtung, Entwarnung: Im Lehen, in diesem Generationenhaus für aufstrebende Grünschnäbel und gut Abgehangene, soll alles weitergehen wie bisher. Das Personal bleibt an Bord, und auch der bisherige Wirt will zumindest immer freitags beim Mittagstisch nach dem Rechten sehen.

An diesem Freitag allerdings, zwischen zwölf und fünfzehn Uhr, wird Gert zum letzten Mal die Gäste seines öffentlichen Wohnzimmers als Chef bedienen. Ich schätze, da könnten neben etwas Bier und Wein auch ein paar Tränen fließen. Vielleicht vom Weinen, vielleicht vom Lachen. In einem guten Wirtshaus liegen diese Dinge immer dicht beieinander.



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