Bauers Depeschen


Samstag, 08. August 2015, 1505. Depesche



Pokal: Stuttgarter Kickers - VfL Wolfsburg 1:4

(Alles in Ordnung, feine Sache)



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LIED DES TAGES



LIEBE GÄSTE,

das Kolumnen-Geschäft ist wieder im Gang. Und der letzte große FLANEURSALON LIVE steigt im Herbst, diesmal mit der Buch-Präsentation: "In Stiefeln durch Stuttgart - Komakäufer und Rebellen". Am Sonntag, 18. Oktober, im Theaterhaus mit:

Christine Prayon - als Entertainerin des Abends

Vincent Klink & Begleitung - als Poet und Musiker

Eric Gauthier & Begleitung - als Sänger und Erzähler

Eva Leticia Padilla & Band - als Stimme des Abends

Toba Borke & Pheel - als Wort- und Rhythmus-Maschine

Joe Bauer - als Dingsbums

Vorverkauf online: THEATERHAUS - Kartentelefon: 07 11/4020-720.



Die aktuelle StN-Kolumne "Joe Bauer in der Stadt"



HERR LUSTIG

Die tropischen Temperaturen des Höllensommers 2015 im Talkessel liefern dem Spaziergänger die beste Ausrede, sich im Schweiß seines Angesichts auf engem Radius zu bewegen. Das ist gut so. Menschen wie ich mit ihrem Herumstiefel-Kodex nehmen den eigenen Kiez in der Stadt oft am wenigsten wahr. Der anhaltende Baulärm in meiner engsten Umgebung hat mich schon vor Wochen in ein Exilbüro im Anfangsbereich der Senefelderstraße vertrieben. Seitdem nehme ich täglich die Senefelder von ihrem Ende aus in Angriff, von der Schwabstraße zwischen Hölderlinplatz und Rosenbergplatz.

1861 hat man die Straße nach Alois Senefelder genannt, dem 1771 in Prag geborenen Erfinder des Steindrucks. Halbwegs berühmt und berüchtigt in der Stadt ist sie bis heute für ihr ehemaliges Zuchthaus hinter dem Post-/DHL-Gebäude. 1850 wurde es eröffnet, bis zu 185 Gefangene waren darin untergebracht, vor allem zu lebenslanger Haft verurteilte Männer. Drei Delinquenten starben an diesem grausigen Ort unter dem Fallbeil. Offiziell hieß die Festung Pönitentiarhaus, abgeleitet von poena: lateinisch für Strafe. 1900 wurde der Kerker geschlossen, danach zogen Werkstätten der Kunstgewerbeschule, das Schulmuseum und später Wohnungsmieter ein. Wer das ehemalige Zuchthaus sucht, findet es, leicht versteckt, hinter besagter Poststation, einer Art Kolonialladen, über den Zugang Senefelderstraße /Ludwigstraße.

Der Horror-Knast wirft heute keine Schatten mehr auf die Route zwischen Reinsburgstraße und Schwabstraße. Im Gegenteil, mir ist die Strecke ein Vergnügen. Bevor ich in die Senefelder einbiege, komme ich in Explosionsreichweite an der Shell-Tankstelle am Rosenbergplatz vorbei. Gegenüber ist seit vierzehn Jahren das Lokal La Bamboo. Mit seinen bunten Menü-Fotos neben der Tür erinnert es fälschlicherweise an einen Fast-Food-Laden. Mit der seltenen journalistischen Erfahrung, nie im Leben auch nur eine einzige Gastro-Kritik verbrochen zu haben, versichere ich mit gutem Gewissen, dass man in dieser Eckkneipe vortrefflich & günstig essen kann. Würzige, von Curry und Kokosmilch geprägte Speisen nach Rezepten aus Sri Lanka. Der sri-lankische Wirt, genannt Leo, kam vor Jahren nach Stuttgart, seine Frau, Stuttgarterin, hat er in einem Hotel seiner Heimat kennengelernt.

Immer wenn ich solche kleinen Dinge aufschreibe, merke ich, wie einfältig und lächerlich es ist, ständig Leute nach „Flüchtlingen“, „Ausländern“, „Einwanderern“, nach „Bürgern mit Migrationshintergrund“ und so fort zu sortieren. Es leben nun mal viele verschiedene Menschen in der Stadt, und mich fragt ja auch keiner, woher ich komme, wenn ich bei Gluthitze Cowboystiefel trage, mich für ehemalige Zuchthäuser interessiere und mir bei ihrem Anblick gerechte Folterstrafen für Lärmhandwerker ausmale.

Jetzt aber wieder hurtig in die Senefelder. Leicht bergab und schnurgeradeaus. Überall im Westen gibt es neue kleine Tageslokale, eines von ihnen ist das Mertens an der Ecke Breitscheidstraße, geöffnet montags bis freitags von morgens um acht bis nachmittags um drei. Frühstück. Mittagessen. Sehr beliebt. Keine Bange, ich bin auch kein verkappter Gastro-Führer, verweise aber noch auf das Café Moulu, Ecke Leuschnerstraße, vor dem zu jeder Tageszeit Leute an der Straße sitzen. Vorsichtshalber sage ich im Vorbeigehen pauschal guten Tag, buenos díaz usw., irgendeinen kennt man immer.

Ein Schild an der Ecke Schlossstraße hat zuvor schon meine Aufmerksamkeit geweckt: Der Arzt Dr. Zoltán Vámosi kümmert sich hier nicht nur um Hals-, Nasen- und Ohrenprobleme, er ist auch Spezialist für die Musikermedizin. Ein weites Feld, doch verschweige ich an dieser Stelle die Probleme gelenk- und sehnengeschädigter Geige und atemloser Trompeter mit Lampenfieber mit Rücksicht auf das internationale Arztgeheimnis und den Zustand einiger meiner Freunde.

Nicht weit von der Praxis des ungarischen Musikerdoktors treffe ich, als hätte mich der Sound der Stadt zu ihm geführt, Duncan Smith, den Chef der Rock Star Photo Gallery. In seiner kleinen Hall of Fame, Senefelder 56, lagern viele Originalfotos, Porträts von Bob Dylan bis Frank Zappa. Mr. Smith kennt erstklassige Fotokünstler in London, wo er geboren und aufgewachsen ist. Ein Schulfreund seines Vaters ist übrigens der Rockstar Ray Davies, der legendäre Sänger und Songschreiber der Kinks.

Muss ich noch das buddhistische Meditationszentrum und den benachbarten  Spezialladen für Brautmoden und Taufen mit den Hausnummern 37 und 35 erwähnen? Ja, das Leben muss ja noch eine Weile weitergehen. Wer weiß, wann ich wiedergeboren werde.

So, und dann lande ich bei einem der für mich längst wichtigsten Männer der Senefelderstraße. Er begrüßt mich wie einen Bekannten, dabei bin ich ein absoluter Neuling ohne besondere Kaufkraft in Orthan Sevimlis Laden, Ecke Gutenbergstraße. Das Geschäft namens Markt-Ecke gibt es seit vierzehn Jahren, ein großes kleines Ding, das wir zwischen all den Konsumklötzen in der Stadt brauchen wie die Luft zum Atmen. Es gibt Obst, Gemüse, Getränke, was weiß ich, vor allem auch astreine Brezeln. Herr Sevimli sagt mir, sein Nachname bedeute auf Deutsch „lustig“, und als ich im türkischen Wörterbuch nachschaue, wird „sevimli“ unter anderem auch mit „charmant, liebenswürdig, putzig, knuffig“ übersetzt. Ich arbeite noch mehr als die Schwaben, sagt Herr Lustig, und an der Kasse nickt heftig zustimmend ein Kunde, den ich kenne: Es ist der Stuttgarter Kunstsammler Rolf Mayer, auch er ein großer Spezialist für Fotos – aus dem 19. Jahrhundert. Wir plaudern eine Weile, ehe ich in der Nähe des italienischen Restaurants Riva in einem Hinterhof verschwinde. Wenn ich noch mal auf die Welt komme, werde ich wieder Straßenjunge.



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