Bauers Depeschen


Donnerstag, 07. August 2014, 1330. Depesche



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DIE FAMILIEN-BANDE IM THEATERHAUS

Flaneursalon am 13. Oktober im THEATERHAUS. 07 11 / 4020 720.

Mit Uta Köbernick. Vater Zam Helga & Tochter Ella Estrella Tischa. Toba Borke & Pheel. Vater Roland Baisch & Sohn Sam Baisch. Unsereins macht auch mit.



Die aktuelle StN-Kolumne mit dem LIED DES TAGES:



EIN SONG FÜR STUTTGART

Am Morgen stehe ich vor dem Haus mit der Nummer zehn. Angeblich hat hier der Mann gewohnt, den ich suche. Besser gesagt: Ich suche seinen Geist. Der spukt noch auf der ganzen Welt. Wo aber könnte er überlebt haben in diesem urbanen Elend zwischen Fastfood-Buden, Spielcasino, Nagelstudio? Jedenfalls nicht im italienischen Imbissladen Pasta Baby, sofern der Geist noch ein Bedürfnis hat: „Wir haben keine Gästetoilette“, steht an der Tür.

Marienstraße 10. Bis heute hält sich das Gerücht, hier habe der 1854 geborene, weltberühmte Dichter Arthur Rimbaud gewohnt. Im Februar und März 1875. Ist ein paar Tage her, und die Spuren, die uns der Franzose hinterlassen hat, tragen nicht gerade zur Wahrheitsfindung bei. Die Suche nach der Wahrheit allerdings erschiene einem lächerlich angesichts der kultischen Größe des bis heute verehrten Dichtergotts.

Das Institut Français hat ihm zu Ehren 1985 in der Marienstraße eine kleine Gedenktafel anbringen lassen. Ich hätte es vergessen, wäre nicht die amerikanische Poetin, Rocksängerin und Rimbaud-Verehrerin Patti Smith in die Stadt gekommen.

5. August 2014. Unten im Schlossgarten haben sie am Morgen ein Loch zum Bau des Tiefbahnhofs ausgehoben, oben auf der Freilichtbühne des Killesbergs widmet uns am Abend Patti Smith die schönste musikalische Stuttgart-Hommage, seit sich Leonard Cohen am 1. Oktober 2010 in der Schleyerhalle mit den Demonstranten vom Schwarzen Donnerstag solidarisierte.

Die Open-Air-Show läuft schon ein Weile, als Patti Smith, die sanfte, wilde Ikone der Rock’n’-Roll-Geschichte, mit ihrer unverändert kräftigen Stimme eine Ballade zur Gitarre anstimmt, deren Botschaft unsereins nur mühsam entschlüsselt. Anfangs ist von „the garden of the female horse“ die Rede: von einem wundersamen Garten weiblicher Pferde, bis mir ein Licht aufgeht: Das ist der verdammte Stutengarten. In dieser Kulisse taucht Rimbaud auf, zwanzig Jahre jung, seinen Gedichte-Zyklus „Illuminations“ im Rucksack.

Wir ahnen etwas von einer Schlägerei mit seinem Lebensgefährten und Dichterkollegen Paul Verlaine. Es geht um Jesus Christus, den der zehn Jahre ältere, vom Katholizismus infizierte Verlaine dem Atheisten nahe bringen will. Und die ganze Geschichte, erzählt uns die große Sängerin aus New York, spielt „in Stuttgart . . . in Stuttgart . . . in Stuttgart“. Diese Botschaft ist keine Dichtung, so wahr mir Gott helfe.

Im Februar 1875 kommt Arthur Rimbaud, ein frühreifer Verse-Virtuose und unsteter Abenteurer, nach Stuttgart, vermutlich will er Deutsch lernen. Wo genau er wohnt, darüber gibt es reichlich Mutmaßungen und Legenden. In einer Zeitungsanzeige nennt Rimbaud die Hasenbergstraße 7 als seine Adresse. Der 1881 geborene Schriftsteller Paul Zech berichtet 1909 im „Versuch einer Recherche“, der Dichter habe seine Stuttgarter Zeit unerkannt als Hauslehrer von drei Söhnen eines Mannes namens Albrecht Wagner in der „Neckarallee“ verbracht.

Rimbaud wiederum hinterlässt in einem Brief an seinen Schulfreund Ernest Delehaye die Adresse Marienstraße 2 und schreibt in fehlerhaftem Deutsch: „Vor kurzem kam Verlaine hier an, einen Rosenkranz in den Klauen … Hier ist alles ziemlich schäbig – mit einer Ausnahm: Riessling, von dem ich ein Glaas im Angsicht der Hähnge, die ihn gebore werde sahn, auf deine schtrodzende Gesundheit leerren werd. Die Sonne scheint und es friert, es ist unerträglich.“ Auf einer beigefügten Zeichnung notiert er mit großen Buchstaben: „Wagner verdammt in Ewigkeit!“

Tatsächlich wohnt 1874/1875 ein Karl F. Wagner in der Marienstraße 10. Unumstritten ist auch, dass Verlaine nach Stuttgart reist, als er nach 18 Monate aus dem Knast in Mons entlassen wird. Rimbauds Förderer saß hinter Gittern, weil er in Brüssel mit der Pistole auf den Freund geschossen und ihn verletzt hatte, als der sich von ihm trennen wollte. Über die Stuttgarter Schlägerei zwischen den Liebenden kursieren wunderbare Versionen. Beweise, ob sie überhaupt stattgefunden hat, gib es nicht. Laut Zech wurde sie in Degerloch ausgetragen; Verlaine sei als „ein geschundener blutüberkrusteter Haufen Fleisch“ zu Boden gegangen. Die Rimbaud-Biografin Enid Starkie schrieb 1947, der Kampf habe unter starkem Alkoholeinfluss bei Mondschein am Ufer des Neckars stattgefunden.

Wichtig für die Literaturgeschichte ist, dass Rimbaud nach seiner Stuttgarter Zeit nichts mehr geschrieben hat. Endstation Kessel. Und womöglich hat er beim Riesling die „Illuminations“ aus seinem Rucksack Verlaine übergeben.

Rimbaud zog weiter nach Afrika. Am 10. November 1891 starb er mit 37 in Marseille am Wundbrand. Nach einer Beinamputation wegen eines Krebsgeschwürs hatte er zu früh seine Prothese benutzt.

Patti Smith sagte ihrem Publikum, bei ihrem nächsten Konzert, in München, werde sie ihren ­Rimbaud-Song nicht singen. Dort sei der Dichter nie gewesen. Es war ein Song für Stuttgart. Was für ein Sommerabend. Vielen Dank.



PATTI SMITH IN STUTTGART, "Arthur Rimbaud & Paul Verlaine", Text (mit Dank an Sibylle Wais für die Aufzeichnung):



Maybe it was 1874 when Arthur Rimbaud arrived on foot in Stuttgart

it was the garden of the female horse

and Arthur of course saw horses everywhere

he looked for work, learned perfect German

carried the “Illuminations” in his back pocket in Stuttgart



Paul Verlaine the beautiful melancholic

flawed weak, compassionate poet

arrived with christ in his back pocket in Stuttgart



Arthur Rimbaud and Paul Verlaine

and the poets danced like two wild horses

one white foal, one black mare

head to head in Stuttgart



Arthur Rimbaud opening the 98 wounds of Jesus Christ

through the heart of Verlaine

and so much came

Paul Verlaine left Stuttgart with "Illuminations" in his back pocket



Arthur Rimbaud had the blood of christ

dripping from his back pocket

he walked over to the public fountain

the one from the 18th century

with a golden horse

and he drank the water in Stuttgart



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