Bauers Depeschen


Donnerstag, 31. Mai 2012, 920. Depesche



DER NECKAR BRENNT: FLANEURSALON AM FLUSSUFER

Sonntag, 24. Juni, Mittelkai

DER FINALE AUFRUF !

Noch einmal appelliere ich an alle Homepage-Besucherinnen und -Besucher, an die Freunde bunter Unterhaltung: Unterstützt unser Hafen-Picknick, die Hommage an den Neckar, besorgt Euch Karten im Vorverkauf. Sonst haben wir ein Problem, und der Flaneursalon geht baden im Fluss ... Hier geht es zum rettenden Ufer: HAFEN-PICKNICK

(Siehe auch rechts das Archiv, Depesche vom 20. Mai)



SOUNDTRACK DES TAGES



NOTIZ

Am Mittwoch und an diesem Donnerstag sind neue Kolumnentexte von mir in den Stuttgarter Nachrichten erschienen, man findet sie STN ONLINE. Die jüngste handelt von den Menschen im ehemaligen Stuttgarter Hotel Lessing: "Im Frack in den Pool". - Hier eine kleine Geschichte aus meinem Privatbestand:



DER HOCHSEILARTIST

Immer im Mai fällt mir ein, wie der Artist Johann Traber im Jahr 2004 mit dem Auto auf zwei Stahlseilen zur Spitze des Fernsehturms hinauffuhr. Es hätte nach meinem Geschmack nicht in einem Smart Roadster sein müssen, aber Smart war neu und bezahlte die Sache. Die Show stieg am Himmelfahrtstag, und ich wünschte dem Kollegen Traber auf Erden noch viele gesunde Jahre, bevor ich in die Vergangenheit abtauchte.

Als ich klein war und gut drauf, wollte ich selber Hochseilartist werden. Eines Tages, ich war sechs, kam eine Akrobatentruppe in unser Dorf. Das katholischen Kaff am Fuße der Ostalb, unweit des Rems-Ursprungs, hatte einen Marktplatz; Marktplatz war eine großspurige Bezeichnung für diesen Schandfleck. Wahrscheinlich wird mir morgen der Bürgermeister schreiben, heute sei alles besser, aber jetzt ist es zu spät.

Es kamen Artisten ins Dorf, Motorradfahrer, die auf Hochseilen fuhren. Künstler dieser Branche galten damals als zwielichtig. Vor ihrer Ankunft empfahl man allen Christenmenschen, die Wäsche von den Seilen zu nehmen und guten Schmuck und ledige Frauen wegzuschließen. Ich begriff das nicht. Ich war klein und gut drauf. Hochseilartisten waren Boten aus der großen Welt. Womöglich kamen sie aus Amerika wie die schwarzen Soldaten in der Kreisstadt.

Irgendwie gelang es mir, aus dem Haus zu schleichen und die Vorstellung gegen das Verbot meiner protestantischen Eltern zu besuchen. Was die Artisten wirklich aufführten, weiß ich heute nicht mehr. Ein paar verschwommene Bilder blieben im Kopf. Ich erinnere mich, wie die Männer und Frauen auf Motorrädern den Marktplatz unseres Dorfes in der Luft überquerten, und damals war ich noch nicht so verkommen, mir einen Absturz zu wünschen.

Wie gesagt, viel von dem Ereignis habe ich nicht mehr vor Augen, ich kann mich an eine sehr lange Balancierstange erinnern, und es ärgert mich bis heute, dass ich nicht Artist geworden bin. Wenigstens parterre.

Als ich die Luftshow gesehen hatte, ließ sie mich nicht mehr los. Schon am nächsten Morgen musste ich einen Weg finden, auf einem Seil zu fahren. Ungerecht war, dass ich kein Motorrad hatte, auch wenn es damals ungewöhnlich war, dass sechsjährige Männer Motorräder hatten. Ernesto Che Guevara, habe ich später im Kino gesehen, hatte schon früh ein Motorrad. Ich habe am gleichen Tag Geburtstag wie Che Guevara, ging aber immer zu Fuß.

Als ich klein war, besaß ich einen Roller. Ein Roller war damals anders gebaut als heute. Er hatte zwei Gummireifen. Weil man sie mit Luft aufpumpen musste, stand er oft einsam neben den Gummistiefeln im Geräteschuppen. Einer der Reifen hatte immer ein Loch und niemand Zeit, den Roller zu reparieren. Ich sowieso nicht.

Am Morgen, nachdem ich die Motorrad-Akrobaten gesehen hatte, ging mir ein Licht auf. Ich ging in den Schuppen, es war ein Wink des Schicksals: beide Rollerreifen platt. Ich holte den Roller aus dem Schuppen und begann, die Reifen von den Felgen zu lösen. Das war eine Schweinearbeit. Man brauchte einen großen Schraubenzieher, um ihn zwischen Felge, Schlauch und Mantel zu schieben. Dass bei dieser Methode die Reifen kaputt gingen, war klar. Und in meinem Fall Zweck der Übung.

Nach zwei, drei Stunden hatte ich die Reifen runter. Die Felgen lagen frei. Jetzt brauchte ich ein Seil. Ich klaute meiner Mutter die Wäscheleine. Die Leine spannte ich zwischen den Pfosten eines Zauns und ein Eisentor auf dem Wäscheplatz neben dem benachbarten Güterbahnhof. Die Leine hing nicht ganz so hoch wie bei den Motorradakrobaten, etwa fünfundsiebzig Zentimeter über der Erde.

Als die Vorbereitungen erledigt waren, stellte ich den Roller mit den nackten Felgen auf das Seil. Jetzt musste ich es nur noch auf den Roller schaffen. Das war einfach. Ich hielt den Roller mit den Händen am Lenker fest und sprang aus dem Stand mit beiden Füßen auf das Trittbrett. Das war Akrobatik, und beinahe hätte ich an diesem Tag den Himmel gesehen.

Es kam anders. Schmerzhaft musste ich erfahren, wie mein Traum von einer Karriere als Hochseilartist zu Ende ging und das richtige Leben begann. Ich hatte, und daran sollte ich später noch oft denken, bei meinem Seilakt die Balancierstange vergessen.

Ich lag auf der Schnauze neben dem Roller, roch das Gras unter der Wäschestange und beschloss, noch einmal von vorne anzufangen. Ich holte die Gummistiefel aus dem Schuppen und wurde Cowboy.



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