Bauers Depeschen


Sonntag, 11. März 2012, 875. Depesche



STORMY MONDAY

NAchtrag: Nach der Besetzung des Bonatz-Südflügels durch ein Parkschützer-Team, nach der Pressekonferenz über die manipulierten Stresstest-Ergebnisse der Bahn und der ersten Montagsdemonstration auf dem Marktplatz vor dem Rathaus sprechen Bürokraten von einer konzertierten Aktion. Poeten besingen Stuttgarts Stormy Monday.



DIE BLAUE NACHT RÜCKT NÄHER

Nach dem 2:0-Sieg der Stuttgarter Kickers gegen FSV Frankfurt II und der Verteidigung der Tabellenführung darf ich mit Freude darauf hinweisen, dass am Ostersamstag, 7. April, für Freunde des Clubs und der gepflegten Unterhaltung die "Blaue Nacht" stattfindet. Der Vorverkauf läuft bereits, es gibt nur 120 Plätze. Alles dazu findet man hier: BLAUE NACHT



SOUNDTRACK DES TAGES



Nicht neu, aber stets ein guter Ausflugstipp:



IM TAL DES TODES

Nach Süden, Wanderer, fort aus der Abriss-Stadt, raus aus dem Talkessel.

Kessel ist nur ein anderes Wort für Knast. Aber das wissen nur Leute, die lange genug in der Altstadt waren. Nur sie können den naturgegebenen Kessel (Stuttgart) von einem angefressenen Kessel (Wampe) und einem unverschuldeten Kessel (Stammheim) unterscheiden.

Vom Westen ging ich Richtung Karlshöhe, bald aber erschien mir diese Tour zu touristisch, ich bog ab in die Halbhöhenlage. Die Wannenstraße hinunter nach Heslach, guter Blick auf prächtige Villen und stolze Industrieschornsteine, die letzten Symbole des Rauchverbots.

Die Sonne schien, es war warm im Februar wie im frühen Frühling, und ich sagte: Wanderer, geh nach Süden, zu den wilden heiligen Wassern. Geh in den Wald, Wanderer, wo die Bäume vielleicht noch sicher sind, wo nicht im Morgengrauen die Räuberkommandos mit Stihl-Sägen und Pfefferspraydosen anrücken. Die Wannenstraße hinunter, über die Afternhaldenstraße (mit dem schönsten aller Stuttgarter Straßennamen) zum Bihlplatz. Aus strategischen Gründen noch kurz in die Straßenbahn Richtung Kaltental, Ausstieg Haltestelle Waldeck.

Warum erzähle ich Ihnen das, eigentlich tauge ich nicht zum Wanderführer. Ich bin ein Straßenköter. Aber weiter. Vom Waldeck zum Heslacher Waldheim, der alten Trutzburg der Sozialdemokraten, sie erinnert an eine Zeit, als es noch anständiger Sozialdemokraten gab. Über hundert Jahre alt ist die Geschichte des Waldheims. Die Nazis hatten sie als "marxistische Brutstätte" besetzt, bevor Bomben das Haus zerstörten. Nach dem Krieg haben Heslacher Arbeiter das Gasthaus im Grünen wieder aufgebaut, 1976 sprach dort unter großer Anteilnahme der Bevölkerung Willy Brandt, und danach gab es keine anständigen Sozialdemokraten mehr.

Bevor ich das Waldheim links liegen ließ, hatte ich eine Dame in ihrem Vorgarten nach dem Weg zu den wilden heiligen Wassern gefragt. "Gehen Sie über die Teufelsbrücke", sagte sie, "dann sind Sie richtig." "Nichts täte ich lieber", sagte ich, "die Teufelsbrücke ist meine Bestimmung." Der Weg war weich und bequem. Weiter bis zur Bahnunterführung, zur berüchtigten Seufzerallee, Richtung Schattenring und Vaihingen.

Diesen Marsch verkraftet man bei gutem Wetter und schlammigem Boden ohne Anstrengung,weil man Licht am Ende des Kessels wähnt. Als ich endlich am Tunnel der Gäubahn ankam, donnerte wie bestellt ein Zug mit Schweizer Waggons bergauf, und ich rief: Drücken Sie auf die Tube, Herr Lokführer, in der Schweiz wird es früher dunkel als bei uns, das kommt vom Schwarzgeld. Es war noch hell im Wald, der Dachswald heißt, und bald gelangte ich zur Brücke über die Autorennbahn am Schattenring und war ganz nah bei den wilden heiligen Wassern.

Am Tag, als ich ankam, hatte man den Weg in die Tiefe von Amts gesperrt. Ich musste über rot-weiß gestreifte Plastikbändel steigen, um an den geheimnisvollen Ort vorzudringen.

Es rauscht erregend an den wilden heiligen Wassern des Südens, wenn man hinabsteigt ins tiefe Tal, wo die schäumende Sturzflut (wenn ich so sagen darf) in einem von Menschenhand gebauten Tunnel verschwindet. Herzog Christoph hat dieses Naturschauspiel im Jahr 1566 anlegen lassen, um den Mühlen am Nesenbach mehr Wasser zuzuführen. Das Wasser hat man vom Pfaffensee aus dem Glemstal durch den Christophstollen in den Nesenbach geleitet. Dieser Ort mit seinem Moos und Treibholz, mit seinen Felsbrocken und steinernen Treppen, ist ein famoses Stuttgarter Wiedergeburtsparadies, verwunschen und verzaubernd, die Gründe, warum ich die vereiste Steinplatte vor meinen Stiefeln übersehen habe.

Ich kam ins Schleudern, und ich schlitterte lange genug, um unterwegs über mein langes, verpfuschtes Leben nachzudenken. Irgendeiner hatte die Fährte ins Tal des Todes nicht ohne Grund mit rot-weißen Plastikbändeln und Verbotsschild gesperrt, dachte ich, als ich mich mit eingeschlagenem Schädel im Bach liegen sah. Doch glitt ich, von einem unsichtbaren Schutzengel gesteuert, verblüffend senkrecht über das Eis und kam, so schien mir, erst nach mehreren Stunden zum Stehen. Ich weiß nicht, ob ich bei dieser Nummer eine gute Figur gemacht habe. Später hat eine weit abgeschlagene Beobachterin behauptet, ich sei kreidebleich gewesen, aber das glaube ich ihr bis heute nicht. Ich brüllte hinauf in den Himmel über dem Kessel: "Wer die Teufelsbrücke schafft, kommt überall durch."

Mit lädiertem rechtem Fuß humpelte über die Treppe zum Waldrand, schlich mich zur Haltestelle beim Wildparkstüble und flüchtete nach 39 Minuten Wartezeit mit dem Linienbus nach Vaihingen.

Wenn ein Mann zu den wilden heiligen Wassern will, muss er Opfer bringen. Er muss auf verbotenen Pfaden tanzen und bereit sein, für die Heslacher Wasserfälle am Ende auch in den Kessel zu gehen. Das ist seine verdammte Pflicht.



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