Bauers Depeschen


Freitag, 11. März 2011, 685. Depesche



NOTIZ ZUR NACHT

Nach einer Stadttour als Passagier im Schlesinger-Wasserwerfer und dem Besuch von Andres Veiels Spielfilm "Wer wenn nicht wir" hatte ich keine Zeit, Depeschen zu schreiben. In den Stuttgarter Nachrichten von heute findet man meinen etwas längeren Text mit Anekdoten über das ehemalige Hotel Marquardt. In diesem mondänen Haus wohnten interessante Menschen: der abgebrannte Richard Wagner, unbekannte Heiratsschwindler, der große Max Schmeling. Stuttgart, davon bin ich nach jeder Ausgrabung überzeugt, war früher mehr Stadt als heute. - HEUTE habe ich reichlich LINKS zusammengestellt - es ist wichtig, sich immer neue Quellen zu erschließen.

SOUNDTRACK DES TAGES



HEUTE BENEFIZ

Am heutigen Freitag findet in der Rosenau eine weitere Lesung der Benefiz-Reihe "Ithaka" statt. Die Einnahmen gehen an die vier verletzten Menschen vom Schwarzen Donnerstag. Beginn: 20 Uhr (unsereins ist auch dabei).

PUTTE AUF FLÜGEL-TV: Interview mit Wasserwerfer-Opfer Wagner

NACHDENKSEITEN: KRIMINALISIERUNG DER S-21-GEGNER



NEUES ZUM FILM: STUTTGART 21 - DENK MAL!

Die Doku läuft täglich im Stuttgarter Delphi, jeweils 18.40 Uhr, sonntags auch 14.20 Uhr Programmkino-Magazin



DIE WAHRHEIT ÜBER REICHTUM: MICHAEL MOORE SAGT ALLES



FLANEURSALON

Unsere kleine, für kommenden Mittwoch angesetzte Show in der Friedenau in Ostheim ist fast schon ausverkauft...

BRANDNEUER TERMIN: 3. Flaneursalon im Fluss am Donnerstag, 30. Juni, auf dem Neckar-Schiff Wilhelma.



Die StN-Kolumne über den Marienplatz, die keine Sau interessiert hat:

DER GLÄSERNE PIZZAKUCHEN

Der März 2011 ist ein großer Jahreszeitenverwandler, und er ist der Monat des Spaziergängers. Im März hat der Spaziergänger Kampfgeist und Sonne im Tank.

Zweieinhalb Wochen vor der Wahl ist ununterbrochen vom Kampf die Rede, und trotz aller Sonne sehe ich nicht, wer wirklich kämpft. Als Willy Brandt noch kämpfte, erfand der Berliner Kabarettist Wolfgang Neuss den Slogan "Pack den Willy in den Tank!". Den Spruch hatte sich der alte Anarcho beim Weltkapitalistenkonzern Esso geliehen ("Pack den Tiger in den Tank!") und damit allerlei lustige Missverständnisse ausgelöst. Der große Willy im Tank hatte ja weniger mit Benzin zu tun. Auch das Männerding in Unterbauchhöhe nannte man Big Willie.

Dagegen ist der Wahlkampf 2011 stinklangweilig und geschlechtslos. Die Grünen wollen "Vertrauen", die Linken sind "Sozial, auch nach der Wahl", die FDP ist "fit", CDU und SPD faseln etwas von "authentischen Menschen" in ihren Spots: Betteln um Gänsemarsch-Gefolgschaft, tausendmal einfallsloser als eine uralte Identitätskampagne wie "Unser Leuze". Da war noch Mineralwasser im Tank.

Als ich die Sonne im Tank hatte, war Faschingsdienstag, ich stiefelte, weit weg von der Narrenkundgebung, in einen schönen Tag hinein, zu faul, mein Notizbuch aus der Tasche zu ziehen. Ich pfiff Lieder über Sonne und Licht vor mich hin, und der jüdische Texaner Kinky Friedman sang mir aus der Ferne seinen Countrysong ins Ohr: "Keep On The Sunny Side . . ."

Ich ging an Häusern vorbei, die nie die Sonne sahen. Abwechslungsweise spazierte ich die Hauptstätter und die Tübinger Straße entlang, ich sah kaputte Fassaden, verwitterte Firmenschilder, Reste geplatzter Hoffnungen. Eine Million Autos rasten vorbei, und einmal, weil Fasching war, begegnete ich einer Pferdekutsche. Da stand ich bereits vor dem Mond.

Am Marienplatz hat man schon mitten im härtesten Winter mit dem Bau des sogenannten Mondcafés begonnen. Mondcafé, weil es später ein beleuchtetes Dach haben wird (Architektur muss neuerdings immer beleuchtet werden, damit man sie erkennt). Der Laden kostet, nach Angaben eines Marienplatz-Architekten, 900 000 Euro, gehört der Familie Santini und heißt folgerichtig La Luna (Mond).

In dem Film "Mondsüchtig" mit Nicolas Cage und Cher singt im Vorspann Dean Martin: ". . . when the moon hits your eye like a pizza pie - that's amore . . ."

Sicher nicht aus Amore-Gefühlen baut man jetzt einen gläsernen Pizzakuchen auf den Marienplatz. Ein Café hatten die Architekten zwar schon bei der Neugestaltung Anfang des Jahrtausends geplant (weil man überall in der Stadt, wo sich ein Loch auftut, nach "Gastronomie" schreit). Was sie aber nicht wissen konnten: Manchmal, wenn man etwas Sonne getankt hat, ändern sich die Dinge. Als ich den neuen Marienplatz 2003 sah, dachte ich: Was für eine Betonwüste, ein Exerzierplatz für die Bundeswehr. Das war dumm und falsch.

Im Lauf der Zeit nämlich kamen Menschen, und direkt neben dem Platz konnte man von den Stühlen des italienischen Restaurants Kaiserbau, der Gelateria oder vom bierseligen Treff bei Anna zur Zahnradbahn hinüberschauen. Wenn man aufstand, sah man mit Freude, wie der großzügig geöffnete Marienplatz den Blick nach Süden auf prächtige Häuserfassaden öffnete. Was für eine ungewöhnliche Perspektive: diese Weite in der Stadt, Bewegung, Freiheit, Leben, bunt wie ein Pizzakuchen. Endlich sah man etwas anderes als die hässlichen Straßenkreuzungen, die man bei uns "Plätze" nennt.

Die Stadtplaner jedoch haben die Phrase "Belebung" im Hirn. Und Belebung bedeutet für sie immer nur Kneipen - als ob es davon nicht genügend gäbe am Marienplatz. In Wahrheit muss der Mond wieder auf das Geld in einem Bauloch scheinen.

Hätte man nicht einen Wochenmarkt auf dem Marienplatz einrichten können, einen belebenden Treffpunkt für die Menschen des Südens und die Neugierigen aus anderen Himmelsrichtungen? Einen Markt baut man auf und ab. Jetzt aber packt man den Mond in einen betonierten Tank, wo er bleiben muss. Der Marienplatz verliert mit seiner Weite auch urbane Würde.



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www.bittermann.edition-tiamat.de (mit der Fußball-Kolumne "Blutgrätsche")





 

 

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