Bauers Depeschen


Dienstag, 08. Oktober 2019, 2135. Depesche



 



Nach dem Anschlag vom Halle:

Donnerstag, 10. 10., 18 Uhr,

Stuttgarter Rotebühlplatz:

RECHTEN TERROR STOPPEN!

Kundgebung des Bündnisses Stuttgart gegen Rechts.





FLANEURSALON MIT

OLIVER MARIA SCHMITT

UND VINCENT KLINK

Den nächsten und letzten Stuttgarter Flaneursalon in diesem Jahr machen wir am Montag, 25. November, im Theaterhaus. Eigentlich ein Zufallsprodukt: Der bei uns weltberühmte Satiriker und Schriftsteller Oliver Maria Schmitt, mit Martin Sonneborn und Thomas Gsella in der Titanic BoyGroup unterwegs, hatte mir mal angeboten, im Flaneursalon mitzumischen. Ich hätte mich nicht getraut, ihn zu fragen. Irgendwann wurde die Sache dann ernst, und wie‘s der Teufel will, schwirrte auf einmal auch der Name Vincent Klink herum, weil Herr Schmitt gerade bei ihm eingekehrt war. Auch Herr Klink - als Koch, Musiker und Autor Im Dauereinsatz - hatte zufällig Zeit, und so waren wir schon zu dritt. Ergänzt wird dieser Flaneursalon im Theaterhaus mit der tollen Sängerin Eva Leticia Padilla und ihrer Begleitung sowie vom famosen Rapper/Beatboxer-Duo Toba & Pheel. Der Vorverkauf läuft bereits, und ich freue mich auf einen Abend voller kontroverser Wort- und Musik-Beiträge. Womöglich wird’s lustig. Hier gibt es online Karten: VORVERKAUF - Telefonisch: 0711/4020720



Hört die Signale!

Ein Lied zum Tag



PROTEST-REVUE

Am Dienstagabend ging im Theaterhaus „Die Revue zum Protest“ über die Bühne: „10 Jahre Montagsdemos gegen Stuttgart 21“. Mitwirkende der Show, die ich zusammengestellt hatte, waren Uta Köbernick, Christine Prayon, Max Uthoff, Timo Brunke, die Band Foiae Verde, Walter Sittler, Volker Lösch & Der Bürgerchor, Josh von Staudach (Bebilderung) Trommlercombo Lokomotive, Capella Rebella und viele Gäste. Und hier mein Beitrag für den Abend:



SCHÖNEN GUTEN ABEND im Theaterhaus, meine Damen und Herren,

es ist ein guter Anblick, ausgerechnet in der berüchtigten Großverdienerstadt Stuttgart so viele wirklich verdiente Menschen auf einem Haufen zu sehen. Zehn Jahre hält ja nicht jede Eintagsfliege durch.

Nach Angaben der Polizei sind hier heute im Saal insgesamt 250 Stuttgart-21-Gegner, darunter laut Stuttgarter Zeitung 387 gewaltbereite Linksextremisten. Bewaffnet mit Pflastersteinen, getarnt als Kastanien. Wir wissen: Wahrheit und Fairness waren nie wichtig, wenn es darum ging, über oppositionelle Aktionen zu berichten. Jedenfalls nicht in Stuttgart, wo bekanntlich dank einer grünen Landes- und Stadtregierung paradiesische Zustände herrschen. So dass Proteste überflüssig sind. Falls dennoch Aufmüpfigkeit auch in Zukunft beobachtet werden, sind die Herrschenden in Baden-Württemberg bestens gerüstet: Die erneute Verschärfung der ohnehin brutalen Polizeigesetze im Land, die selbst noch die Methoden in Bayern übertreffen, sind längst in Vorbereitung. Und sicher auch im Sinne einer neuen CDU-Hoffnungslosigkeit namens Eisenmann.

Aber, liebes Publikum, wir sind ja heute nicht hier, um über das miese politische Klima zu jammern. Wir wollen Sie an diesem Abend mal so richtig unterhalten, mit Musik und guter Laune und unterirdischen Witzen, für die wir hochqualifiziertes Bühnenpersonal engagiert haben. Wir sind gewissermaßen das alternative Volksfest – und ich bin leicht enttäuscht, dass doch relativ wenige von Ihnen in Lederhosen und Dirndl erschienen sind, um mal richtig Wasen-Bambule zu machen 

Neulich habe ich auf der Online-Seite des Rathauses, sie heißt „Stuttgart – meine Stadt“, ein Foto gesehen, auf dem der OB Kuhn und der Innenminister Strobl ein Fass anstechen, dem zuvor leider niemand den Boden ausgeschlagen hat. Der eine, bekannt als Wasen-Fritzle, trug vom Hals abwärts eine Schürze, als wollte er einen Schlachthof eröffnen. Vermutlich vegan. Der andere auf dem Foto ist berühmt als der tolle Thomas – unser Knäbchen von Heilbronn.

Dieser Strobl trug extra eine Sepplhose, damit man seine nackten Beine sehen konnte, seine Version der Kelchstützen. Und so wollte er der Welt zeigen: Leute, ICH bin der wahre Eisenmann. – Zäh wie Lederhose. Smart wie Kruppstahl. Frisch wie Windbeutel.

Früher, bevor die Proteste gegen Stuttgart 21 begannen, hatte ich wirklich geglaubt, die ganze Sache sei ein Witz. Das fing damit an, dass ich eine Zeitlang jeden Tag eine von diesen beiden Überschriften in den Lokalblättern lesen musste: Entweder „Durchbruch für Stuttgart 21“ oder aber „Grünes Licht für Stuttgart 21“. Damals konnten wir noch nicht wissen, dass später in allen Belangen eine grüne LED-Leuchte namens Kretschmann für den Durchbruch sorgen sollte. Das galt auch für die Löcher im Käs, die er verdaut und öffentlich ausgeschieden hat.

Und als dann die Propagandamaschine des angeblichen Verkehrsprojekts anlief und bis zum Erbrechen die Begriffe „Zukunft“ und „Fortschritt“ missbrauchte, dachte ich immer noch, Stuttgart 21 sei ein Objekt der Witz-Begierde.
 Und habe mich gefragt, wozu das Ganze von Nutzen sei, wenn Zukunft und Fortschritt ausschließlich bedeuten, ein paar Minuten schneller nach Ulm und mit der üblichen Verspätung der Deutschen Bahn in Bratislava zu landen. Was für ein Humbug. Neulich war ich in Wien, wo es einmal sozialdemokratische Sozialdemokraten gegeben hat – von dort aus erreichst du Bratislava in 75 Minuten mit dem Schnellboot. Dafür musst du nicht wie bei uns die halbe Stadt untertunneln.

Und wer möglichst bald in Ulm sein will, meine Damen und Herren, der soll doch einfach einen scheiß Zug früher losfahren.

Ja, solche Witze haben wir gemacht.
 Doch dann ging es los auf den Straßen. Und im Schlossgarten. Aus dem Witz wurde ein Aberwitz, ein absurdes Schreckensszenario, Bis heute bin ich allen dankbar, die uns mit dem durch und durch aufklärerischen Protest vermittelt haben, dass es eine verdammte Pflicht ist, etwas gegen die Willkür der Herrschenden und ihre Profitinteressen zu tun. Und dabei hat für mich die Aussicht auf Erfolg nie eine große Rolle gespielt. Konstantin Wecker mag so pathetisch sein, wie er will. Eine seiner Liedzeilen habe ich mir gemerkt, sie lautet: Es geht ums Tun und nichts ums Siegen.
Der Protest gegen Stuttgart 21 und damit gegen den Wachstumswahn, gegen die Immobilienhaie und die Zerstörung unserer Lebensbedingungen und Umwelt haben nicht nur mir, sondern vielen Mitstreiterinnen und Mitstreitern die Augen für andere Dinge geöffnet. Für die verheerende Wohnungspolitik, für die Verdrängung der Armen und Nicht-Wohlhabenden aus der Stadt.

Und so wurde ich auch stärker sensibilisiert für die faschistischen Umtriebe und rassistischen Machenschaften, die immer mit Entwicklungen kapitalistischer Systeme zu tun haben. Heute erleben wir einen gefährlichen Rechtsruck, der immer noch sträflich unterschätzt wird. Gegen den zu wenig getan wird, obwohl niemand sagen kann: Davon weiß ich nichts, von den neuen Rechten, den Völkischen und den Nazis habe ich nichts mitbekommen. Sie sitzen nämlich schon in unseren Parlamenten vor der Haustür.

Man könnte jetzt sagen, das habe doch nichts mit Stuttgart 21 zu tun. Doch, liebes Publikum. Der Protest gegen Stuttgart 21 hat uns die Kraft demokratischer Bewegungen gezeigt, der Protest hat uns die Augen geöffnet und dazu aufgefordert, politische Entwicklungen schärfer zu beobachten. Der Protest hat Mut gemacht, solidarische Kräfte gegen die Politik der Ungerechtigkeit zu mobilisieren. Und der Montag bleibt ein guter Tag für Stuttgart. Da geht es längst nicht mehr nur um acht Gleise, sondern um die ganze politische Achterbahn.

Das ist die Lehre von Stuttgart 21: Gemeinsam etwas tun. Und es gibt überhaupt keinen Grund, den Humor zu verlieren. Politischer Einsatz muss Spaß machen. Humor ist ja nicht dazu da, dümmliche Volksfest-Witze abzuseilen wie früher ein Herrenknecht namens Schuster.

Und jetzt, liebe Gäste, greifen Sie bitte unter ihren Sitzen zu Ihren Kastanien aus frischer Oktober-Ernte. Wir greifen wieder an! Auf den Straßen gehts voran.

Vielen Dank.









 

Auswahl


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